von Klaus Geggus, Hubert Daul
Weingarten – eine kurpfälzische Exklave
Die Kurpfalz zählte zu den bedeutendsten weltlichen Territorien des Alten Reiches, des so genannten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Ihre Herrscher führten zunächst den Titel „Pfalzgraf bei Rhein“. Seit der von Kaiser Karl IV. erlassenen so genannten „Goldenen Bulle“ im Jahre 1356 gehörten die Pfalzgrafen zu den sieben Kurfürsten des Reiches, die das Recht zur Teilnahme an der Wahl des römisch-deutschen Königs hatten. Residenzstadt der Kurfürsten war Heidelberg, ab 1720 Mannheim.
Das kurpfälzische Staatsgebiet war nicht zusammen-hängend, sondern ein für die damalige Zeit typischer „Flickenteppich“ mit Exklaven und Enklaven; einzelne Territorien teilte man sich sogar mit anderen Staaten. Seit 1368 bis zum Ende des Deutschen Kaiserreiches 1806 war Weingarten eine kurpfälzische Exklave. Seine Nachbarorte Jöhlingen und Untergrombach gehörten zum Hochstift Speyer; Grötzingen, Hagsfeld, Blankenloch und Staffort (zeitweise) zur Markgrafschaft Baden-Durlach. Zur Kurpfalz gehörten in der weiteren Umgebung Weingartens auch Bretten, Wiesloch, Heidelsheim und Zaisenhausen. So genannter „dreieckiger“ Stein mit Weingartener Seite: Grenzstein zwischen den Ländern Kurpfalz, dem Bistum Speyer und der Markgrafschaft Baden-Durlach |
Der Marktflecken Weingarten erhielt 1589 einen Wartturm mit Helmdach und Glockenreiter als Ersatz für eine nicht genehmigte Stadtmauer. Er diente zur Warnung der Bürger vor drohender Gefahr und als Stützpunkt und zur Unterbringung kurpfälzischer Geleitmannschaften.
Historische Ansicht Weingartens mit Wartturm, Helmdach und Glockenreiter (Ausschnitt)
Frankenthaler Meister der „kurpfälzischen Städtebilder“ um 1600 |
Weingartens lange Geschichte als Teil der Kurpfalz war immer wieder auch verbunden mit Kriegen, Zerstörungen und Brandschatzungen durch feindliche Truppen.
Im so genannten „Landshuter Erbfolgekrieg“ 1504/1505 standen sich Kaiser und mit ihm 164 verbündete Fürsten und Städte, darunter Herzog Ulrich von Württemberg, dem Pfälzer Kurfürsten Philipp und dessen Sohn Ruprecht gegenüber. Dabei blieb auch Weingarten nicht verschont. Auf seinem Weg nach Bretten zerstörte und brandschatzte Ulrich den Ort, wobei berichtet wird, dass vor allem die Kirche schwersten Schaden nahm. Bretten selbst überstand danach erfolgreich die Belagerung durch die württembergischen Truppen.
Mit Beginn des 17. Jahrhunderts erlebten Weingarten und die Region ein Jahrhundert unbeschreiblichen Elends. Es begann 1618 mit dem 30-jährigen Krieg. 1622 brannten Speyerische Dragoner des kaiserlichen Generals Tilly das Dorf und seine Kirche nieder. Die Bewohner hatten neben den ständigen kriegerischen Auseinandersetzungen auch unter Pestepidemien und Hungersnöten zu leiden. Ab 1688 führte der „Pfälzische Erbfolgekrieg“ dazu, dass auch der letzte Rest der noch unzerstörten Häuser im Ort bis auf die Grundmauern niedergebrannt wurde. Auslöser für den Krieg war der Tod des kinderlos gebliebenen Kurfürsten Karl II, dessen Schwester Liselotte von der Pfalz mit Philipp von Orléans, dem Bruder des frz. Königs Ludwig XIV., verheiratet war. Dieser meldete nun Erbansprüche auf die Pfalz an und drohte dem Kurfürsten: „Wenn ich die Pfalz nicht erbe, komme ich mit meinen Generälen und Soldaten und brenne die Pfalz nieder!“ Der nun ausbrechende Erbfolgekrieg (1688–1697) wurde mit bis dahin nicht gekannter Radikalität geführt. Französische Truppen drangen in die Pfalz ein und besetzten das Land. Als sie durch Reichstruppen langsam zurückgedrängt wurden, begannen sie mit der vollständigen Verwüstung der besetzten Gebiete. Ludwigs Anordnungen wurden systematisch von seinem General Mélac exekutiert.
Am Ende dieses Jahrhunderts lebten in dem fast ausgestorbenen Weingarten nur noch ca. 28 Bürger mit ihren Familienangehörigen. Trotz dieser niederschmetternden Umstände – das Leben in Weingarten ging weiter. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts ließen sich viele Neubürger aus der Schweiz auf Veranlassung des Kurfürsten in der zerstörten Kurpfalz, und damit auch in Weingarten, nieder. Unter ihnen befand sich auch der allseits beliebte reformierte Pfarrer Johann W. von Hospital. Er begleitete die Pfarrstelle in Weingarten mit kurzen Unter-brechungen bis zu seinem Tod im Jahre 1750. Mit ihren handwerklichen Fertigkeiten nahmen die Neubürger und ihre Nachfahren den wirtschaftlichen Wiederaufbau Weingartens in Angriff und bauten den Ort wieder zu einer großen Weinbaugemeinde auf.
Grabplatte von Pfarrer Johann Wilpert von Hospital im Eingangsbereich der evangelischen Kirche |
Quellenangaben:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kurpfalz
https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Kurpfalz:_Politische_Geschichte