Der Deutschritterorden

von Hubert Daul

 

Aus alten Akten und Urkunden erfahren wir, dass am 8. September 1379 der Kurfürst von der Pfalz, Ruprecht I., die kirchlichen Interessen Weingartens (das Patronatsrecht) dem Deutschen Orden verliehen hat.
1414 wurde die Ortskirche dem Deutschordenshaus (DHO) Weinheim angegliedert (inkorporiert). Seit diesem Zeitpunkt haben Deutschordens-Priester in einem für sie errichteten Pfleghof die zu jener Zeit dem heiligen Remigius geweihte Kirche verwaltet und seelsorgerlich betreut. Der Orden stellte die Pfarrer und sorgte für deren Unterhalt. Dafür erhielt er ein Drittel des großen Zehnten und Wittumgut (Liegenschaften wie Äcker, Wiesen, Weinberge). Eine weitere Quelle von 1464 erwähnt, dass der Deutschmeister des Ordens die Pfarrstelle sowie die Pfründen zu „conferieren“, d. h. zu verleihen habe.

Frankenthaler Meister der „kurpfälzischen Städtebilder“ um 1600Während des bayrisch-pfälzischen Erbfolge-krieges im Jahr 1504 wurden Weingarten und die Burg Schmalenstein durch Herzog Ulrich von Württemberg zerstört. Auch die Ortskirche und der Pfleghof des Deutschen Ordens wurden ein Raub der Flammen. Letzterer wurde – wie berichtet – sogleich wieder aufgebaut.
Der Wiederaufbau der Kirche geschah offenbar auf alten Fundamenten. Sie erhielt einen Chorturm als Glockenturm auf der Ostseite des Langhauses. Etwas später, aber noch vor 1545, wurde auf der Westseite des Langhauses ein höherer Turm angebaut, in dem die Glocken ihren Platz fanden.

Seit 1525 gewann die Lehre Luthers trotz des Verbots durch den Reichstag in Worms viele Anhänger. Kurfürst Friedrich erlaubte katholischen Geistlichen im Jahr 1545 unter dem Druck seiner protestantischen Umgebung die deutsche Messe, das Abendmahl unter zwei Gestalten und das Eingehen einer Ehe.
Nach dem Tod des letzten katholischen Deutschordenspriester Johann Schlaginhauffen, der bereits offen mit der Lehre Luthers sympathisierte, wurde die Pfarrstelle durch den lutherischen Pfarrer Simon Leutz besetzt, der auch im nahe gelegenen Pfarrhaus wohnte. (Dieses Pfarrhaus befand sich bis 1751 auf dem Platz, auf welchem heute das Langhaus der katholischen Kirche steht). Seit dieser Zeit war das Pfarrhaus bis zu seinem Abriss ausschließlich im Besitz der lutherischen bzw. reformierten Konfession.
Seit 1556 regierte Kurfürst Ottheinrich in Heidelberg. Gemäß dem Augsburger Religions-frieden von 1555 führte er in seinem Territorium die lutherische Lehre ein. Eine der darin enthaltenen Bestimmungen besagte, dass der Territorialfürst die Religion seiner Untertanen bestimmte: „Cuius regio, eius religio“, (d. h. wer regiert, bestimmt die Religion der Untertanen). So endete mit der Einführung der Reformation im Jahr 1556 in unserem Ort die katholische Seelsorgetätigkeit der Deutschordenspriester. Nur der Pfleghof des Deutschen Ordens, dem die Verwaltung des örtlichen Ordensbesitzes oblag, verblieb in der Kirchstraße.

Bis 1622 war die Kirche wechselweise im Besitz der lutherischen und reformierten Gemeinde. Während dieser Zeit gab es etwa 65 Jahre lang keine katholische Seelsorge mehr in Weingarten.
Erst während des 30jährigen Krieges von 1618 bis 1648, mit Unterbrechung von 1633/34 (schwedische Besatzungszeit), erhielten die Katholiken wieder die Oberhand in der Kurpfalz.
Im Jahr 1622 eroberten kaiserliche Truppen unter ihrem Oberkommandierenden Tilly die Pfalz, wobei auch unser Ort zerstört wurde. Die Kirche und das Pfarrhaus wurden ein Raub der Flammen. Bereits im folgenden Jahr übernahmen wieder katholische Geistliche, überwiegend Mitglieder anderer Orden wie Jesuiten, Kapuziner oder Dominikaner, deren Namen überliefert sind, die seelsorgerliche Tätigkeit in Weingarten. Den Gottesdienst feierten sie zunächst in der Schafscheuer (in der heutigen Schafstraße).

Wie aus einem späteren Bericht des Deutschen Ordens hervorgeht, soll die Ortskirche schon 1628 wieder aufgebaut gewesen sein, Chorturm sowie Chor aber infolge der Umstände dieser Zeit nicht mehr in ursprünglicher Höhe. Auch war der Verbleib der Seelsorger anscheinend immer nur von kurzer Dauer, denn es war schwierig, in diesen schrecklichen Zeiten von Hunger und Pest, Mord und Brand-schatzungen überhaupt noch Geistliche zu finden.
Im Jahre 1644 berichtete die kurfürstliche Verwaltung in Heidelberg an die Deutschordens-Regierung in Mergentheim, dass die Untertanen zu Weingarten die Klage vorbrachten, schon seit drei Jahren ohne Priester zu sein und deshalb aus diesem Grund keine Gottesdienste mehr stattfinden würden. Der Orden versuchte zwar, das Problem zu lösen, aber kein Ordensgeistlicher bewarb sich mehr um die Pfarrstelle in Weingarten. Doch diese Anfrage von Weingartener Katholiken lässt darauf schließen, dass in dieser Zeit der Deutsche Orden wahrscheinlich seine alten Rechte in unserem Ort wieder erlangt und diese dann auch bis zum Ende des Krieges ausgeübt hat.
Da das bisherige Pfarrhaus seit 1622 in Schutt und Asche lag, mussten die Geistlichen ab 1630 zunächst in dem für 300 Gulden erworbenen Schulhaus in der Keltergasse (hinter der Untermühle) wohnen. Dieses Haus blieb dann fast hundert Jahre lang reformiertes Schulhaus bis zum Bau eines neuen Schulhauses 1761 auf dem oberen Teil des Pfleghof-Gartens (heute das Anwesen Koschnik in der Kirchstraße 8). Das alte reformierte Schulhaus, ehemals das Anwesen Bach-Reichert, gehört heute noch Harald Reichert in der Jöhlinger Straße 4. Dieses Haus muss anscheinend früher noch Teil der Keltergasse gewesen sein.
Der Westfälische Frieden von 1648 brachte nun auch den Reformierten die konfessionelle Gleichberechtigung neben Lutheranern und Katholiken. Da die Kurpfalz vor Ausbruch des Krieges reformiert war, wurde nun ab 1648 die reformierte Konfession für die Pfalz wieder eingeführt, und die Ortskirche ging wieder in den Besitz der Reformierten über. 1685 übernahm die katholisch-bayrische Linie die Regierung für die Pfalz. Damit konnten die Katholiken in Weingarten wieder ihre Gottesdienste ungehindert ausüben, die von Kapuzinern aus Bruchsal in einem Raum des Pfleghofes gefeiert wurden.
Kurfürst Johann Wilhelm erlaubte seit 1698 Katholiken und Lutheranern ein Mitbenutzungs-recht an den reformierten Kirchen des Landes (so genanntes „Simultaneum“). So zogen denn auch am 1. November jenes Jahres die Weingartener Katholiken aus dem Pfleghof in den Chor der reformierten Kirche ein, wo für sie ein eigener Altar errichtet worden war.
Dieses gemeinsame Nutzungsrecht der drei Konfessionen dauerte allerdings nur sieben Jahre. Die so genannte „Kurpfälzer Religionsdeklaration“ von 1705 bestimmte nämlich nur noch die Benutzung der Kirche zwischen Katholiken und Reformierten. Die Teilung erfolgte nach der Anzahl der Konfessionsangehörigen eines Ortes. Das bedeutete, dass die Katholiken in Weingarten den Chorturm als Eigentum erhielten, die Reformierten das Langhaus (Kirchenschiff). An der Ostseite des Chorturms wurde jetzt ein katholisches Chörlein angebaut, und zwischen Langhaus und Chor eine Mauer errichtet. Die Lutheraner gingen leer aus. Sie bauten sich daher 1724 an der Ecke Kirchstraße/Am alten Friedhof eine eigene Kirche. Dort befindet sich heute der evangelische Kindergarten.
Die Güter des Deutschen Ordens in Weingarten wurden 1732 im Zuge der Neuordnung der Besitzverhältnisse erfasst. In der Urkunde betrug die Gesamtgröße der Ackerflächen des Ordensgutes 47 Morgen, 2 Viertel und 15 Ruthen. Das entspricht nach heutiger Umrechnung einer Fläche von 178.900 m².

Mit der wachsenden Einwohner-zahl Weingartens zu Beginn des 18. Jahrhunderts fasste der katholische Gottesdienstraum im alten Chor-turm mit Chörlein nicht mehr die Anzahl der Gläubigen. Deshalb schlug der Deutschordens-Bau-meister Wenger vor, den alten Turm mit Anbau abzubrechen und ihn durch einen größeren, dreiseitig geschlossenen Chor mit Querschiff und Sakristei zu ersetzen.

Der Bau wurde 1758 begonnen und nach zwei Jahren fertig gestellt. Das Kirchlein, dem heiligen Michael geweiht, stand nun gleichermaßen Rücken an Rücken mit dem protestantischen Kirchenteil.
Im Jahre 1809 wurde der Deutsche Orden im Deutschen Kaiserreich durch Napoleon aufgelöst. Der letzte Ordenspfleger Mersy verließ den Pfleghof und zog in die Amtskellerei (die heutige Grundschule). Wie lange er dort wohnte, ist nicht überliefert. Darauf zog der reformierte Pfarrer Friedrich Lepper in den Pfleghof ein, der nun von der Großherzoglichen Badischen Domänenverwaltung als reformiertes Pfarrhaus bestimmt wurde. Nach der Vereinigung der evangelisch-lutherischen und reformierten Kirche in Baden im Jahre 1821 wurde der ehemalige Pfleghof das evangelische Pfarrhaus Weingartens.

Ehemaliger Pfleghof des Deutschen Ordens, heute evangelisches Pfarrhaus

an der Ecke Kirchstraße / Kirchgässle

Wappen des Fürstbischofs und Deutschmeisters Clemens August von Bayern 1748

am evangelischen Pfarrhaus

Das dem Orden gehörende „Wittumgut“ (= Liegenschaften der Pfarrpfründe und das Pfarrhaus) wurde den Weingartenern „Friedrich Graßer und Consorten“ als „Erblehen“ übergeben.
Im Ortsarchiv liegt über diesen Vorgang eine Urkunde vom 14. April 1813 vor. Darin wird aufgeführt, wer welche Wiesen, Äcker, Weinberge und Krautgärten bekommen sollte. Zusammen erhielten sie 61 Morgen Äcker, 3 Morgen Wiesen, 2 Morgen Weinberge und 2 Morgen Krautgärten. Friedrich Graßer bekam die Originalurkunde. Die „Consorten“ erhielten Kopien. Unter den „Erbständern“ des Ordensgutes von 1813 findet sich keine der Familien, die 1732 die Ländereien bewirtschafteten.

 

Quellenangabe:

Wilhelm Kelch, 1000 Jahre Weingarten,
Herausgeber: Gemeinde Weingarten, 1985

100 Jahre Weihejubiläum Pfarrkirche St. Michael, Weingarten (Baden)
Herausgeber: Pfarrgemeinderat der katholischen Pfarrgemeinde St. Michael, 1998

Pfarrer Albert Nikolaus, Heimatbuch Weingarten (Baden),
Herausgeber: Bürger- und Heimatverein Weingarten, 2000

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